„Wieso sollte es hier anders gewesen sein?“

„Wieso sollte es hier anders gewesen sein?“

13. April 2023 0 Von Sonja Mersch

Die Margarethenhöhe – Gartenstadt, Künstlerkolonie, Architektur, gelebte Nachbarschaft. Aber Nationalsozialismus? Davon hört und liest man anscheinend eher selten. „Aber 77 Jahre nach Kriegsende ist es an der Zeit, sich auch diesem dunklen Kapitel der Geschichte der Margarethenhöhe zu nähern“, findet Jürgen Malone (Foto oben). Zusammen mit Manfred Raub hat er deshalb ein aufwändig recherchiertes Buch herausgegeben: „Die Margarethenhöhe im Nationalsozialismus“ – wohl wissend, dass das Thema oft immer noch ein Tabu darstellt. „Aber jemand muss anfangen – niemand hat das bisher gemacht“, sagt er.

Stolpersteine gaben den Anstoß

Begonnen habe alles mit einer Diskussion im Bekanntenkreis: „Es ging um die Aktion Stolpersteine in Essen, und wir haben uns gefragt: Wie war das eigentlich auf der Margarethenhöhe“, erzählt Jürgen Malone. Haben hier im Stadtteil auch Juden gelebt und wenn ja, was ist mit ihnen passiert? „Zuerst habe ich nicht in Erwägung gezogen, etwas darüber zu schreiben. Aber dann dachte ich: Warum eigentlich nicht? Ich erzähle auswärtigen Besuchern bei den Gästeführungen immer, wie schön hier alles ist. Aber dieses Kapitel gehört nunmal auch dazu.“

Künstlerkolonie Margarethenhöhe

In der Künstlerkolonie Margarethenhöhe war beispielsweise der jüdische Künstler Kurt Lewy aktiv, bis er 1935 nach Belgien umsiedeln musste. Der Bildhauer Will Lammert war Kommunist und seine Frau Jüdin, sie wanderten ebenfalls aus. „Das alles weiß man“, sagt Jürgen Malone, der den Künstlern der Margarethenhöhe ein Kapitel seines Buches gewidmet hat. „Aber ansonsten war die Zeit des Nationalsozialismus hier offenbar nie ein Thema. In manchen Publikationen liest man vielleicht mal zwei, drei verschämte Sätze, mehr nicht.“ Für ihn war klar: Das sollte man sich mal genauer anschauen.

Das Foto auf dem Buchcover stammt aus der Fotosammlung von Hugo Rieth und zeigt ein Erntedankfest auf dem Kleinen Markt der Margarethenhöhe im Jahr 1935. Repro: Manfred Raub

Mieterakten im Krupp-Archiv

„Für mich stand die Frage im Raum, wie sich die Mieterstruktur seit 1933 verändert hat“, erzählt er. Zwei Jahre lang habe er verschiedene Archive durchforstet. „Die Margarethe Krupp-Stiftung, aber auch Stadt-Archiv, Krupp-Archiv und Ruhr Museum waren sehr kooperativ“, betont er. Sein erster Weg habe ihn ins historische Krupp-Archiv geführt, wo er mit Genehmigung der MKS in den Mieterakten zwischen 1933 und 1945 recherchieren wollte. „Ich hatte mir erhofft, dort Hinweise zu finden, etwa in Wohnungsbewerbungen oder anderen Schriftstücken“, berichtet er. Jedoch fand er: nichts. „Tatsächlich fehlt im Archiv der komplette Schriftverkehr von 1933 bis 1945 für die Mieter der Margarethenhöhe.“

Somit konnte Jürgen Malone auch keine konkreten Beweise dafür finden, ob Mitglieder der NSDAP seit 1933 bei der Wohnungsvergabe auf der Margarethenhöhe bevorzugt worden seien. „Ich vermute, dass es so war, denn warum sollte es hier anders gewesen sein als woanders?“ Wie überall, so habe es auch auf der Margarethenhöhe Mitläufer und harte Nazis gegeben, ebenso aber auch Widerstand, etwa im Umfeld der Kirchengemeinden, „das habe ich zum Beispiel gar nicht gewusst“, sagt Malone.

„Das Grauen wohnte (auch) nebenan.“

In seinem Buch sei es ihm auch darum gegangen, die Zeit des Nationalsozialismus auf der Margarethenhöhe greifbarer zu machen: „Wer hat hier gewohnt und wo?“ 86 so genannte „belastete Personen“ konnte er über das Essener Stadtarchiv ausfindig machen. Jedoch habe er sich nach sorgfältiger Abwägung dagegen entschieden, die Liste vollständig mit Namen und Anschriften zu veröffentlichen. „Wir leben in einem Dorf, und ich persönlich war der Meinung, das kann man nicht machen.“ Denn laut seinen Recherchen gebe es heute noch Menschen gleichen Namens im Stadtteil, und es liege ihm fern, Familien an den Pranger zu stellen. Adressen wiederum nennt er – auch, um zu zeigen: „Das Grauen wohnte nebenan.“

Deportationslisten und Adressbücher

Durchsucht hat Jürgen Malone außerdem Deportationslisten und alte Adressbücher der Stadt Essen, habe dort jedoch keine Hinweise auf jüdische Bewohner der Margarethenhöhe gefunden. Vier Namen konnte er schließlich doch ermitteln: „Im Stadtarchiv gab es eine Kartei der damaligen Meldestelle für die Margarethenhöhe, Haarzopf und Fulerum in der auch sensible Daten, etwa zum Glaubensbekenntnis, verzeichnet waren. 12.000 Karteikarten habe ich durchgeblättert.“ Am Ende seien ihm vier Namen, gemessen an insgesamt 6000 bis 8000 Einwohnern, sehr wenig vorgekommen: „Aber vielleicht ist das ja auch eine gute Nachricht.“

Kurz vor der Veröffentlichung des Buches sagt Jürgen Malone: „Ich bin gespannt, was mir nun begegnet.“ Bestenfalls würden seine Recherchen einen ersten Impuls setzen und zu Gesprächen anregen, schlimmstenfalls könne man ihn als Nestbeschmutzer empfinden. Doch er stellt klar: „Man idealisiert so schnell. Aber es war hier auf der Margarethenhöhe eben nicht anders als anderswo auch.“

Buch ab sofort im Handel

Das Buch „Die Margarethenhöhe im Nationalsozialismus“ ist ab sofort für 14,95 Euro in der Petite Papeterie Drange am Laubenweg erhältlich, außerdem in der Buchhandlung Leselust in der Neuen Mitte Haarzopf. Bestellen könnt ihr es außerdem direkt über Jürgen Malone via Email. Es umfasst 144 Seiten und enthält zahlreiche Abbildungen.

Mitherausgeber Manfred Raub hat das Buch gesetzt und mit Jürgen Malone gemeinsam recherchiert. Archivfoto: Tanja Wuschof