Zuflucht auf der Höhe
Als Iryna Halishcheva in den ersten Kriegstagen mit ihren Töchtern zu ihren Eltern fuhr, wusste sie noch nicht, dass sie ihre Heimat kurz darauf ganz verlassen würden. Seit April wohnen die drei nun schon bei Tina Altenburg und deren drei Kindern auf der Margarethenhöhe. „Ich habe ihnen mein Schlafzimmer gegeben und schlafe selbst im Wohnzimmer auf der Couch“, erzählt die 52-Jährige. „Als ich die Nachrichten aus dem Kriegsgebiet gesehen habe, wusste ich sofort: Ich will helfen.“ Über den Facebook-Aufruf einer Haarzopfer Initiative, die Hilfstransporte in die Ukraine organisiert und Geflüchtete nach Essen bringt, lernte Tina Altenburg ihre künftigen Mitbewohnerinnen kennen. „Der Bus kam morgens gegen zehn Uhr hier an“, erinnert sie sich. Da hatten Iryna Halishcheva und ihre Töchter, sieben und fast 15 Jahre alt, schon eine lange Reise hinter sich.
Die Kinder in Sicherheit bringen
„Wir kommen aus Pokrowsk, das liegt in der Donezk-Region im Osten der Ukraine“, erzählt die 38-jährige Witwe. Am ersten Kriegstag sei sie mit Lisa und Ulyana zu ihren Eltern gezogen, wo sie einen Monat lang gewohnt hätten. „Aber die Nachrichten wurden immer schlechter. Es gab Explosionen in der Nähe und am Himmel waren ständig Flugzeuge und Raketen.“ Den Kindern habe sie gesagt, dass alles gut werde – aber das sei immer schwieriger geworden, eine psychische Belastung für alle. Auch auf Drängen ihrer Eltern, die ihre Enkelkinder in Sicherheit wissen wollten, entschied sich Iryna Halishcheva schließlich, die Ukraine zu verlassen.
„Einen ganzen Tag lang haben wir mit dem Zug die Ukraine durchquert, um nach Lemberg zu kommen“, erzählt sie weiter. „Dort sagten uns freiwillige Helfer, dass am nächsten Morgen ein Bus fahren würde. Aber wir wussten nicht, in welches Land oder in welche Stadt er uns bringt und was uns dort erwartet.“ Als sie mit ihren Kindern nach 24 Stunden Fahrt schließlich in der Neuen Mitte Haarzopf ankam, lernte sie Tina Altenburg kennen, die das Trio mit auf die Margarethenhöhe nahm.
Katze blieb bei den Großeltern
„Als sie in unser Haus kamen, hat Ulyana sofort den Kratzbaum gesehen und sich gefreut, dass wir eine Katze haben“, erzählt Tina Altenburg. Ihre eigene Katze mussten die Kinder in der Heimat bei den Großeltern zurücklassen. Viel hatten sie ohnehin nicht mitnehmen können – nur einen kleinen Koffer und eine Reisetasche: „Als wir zu meinen Eltern zogen, hatten wir nur sehr wenig dabei. Wir wussten ja nicht, dass wir von dort aus nach Deutschland gehen würden“, sagt Iryna Halishcheva. Mit Kleidern konnte Tina Altenburg ihren Gästen zum Glück schnell aushelfen, „unser Wohnzimmer war eine halbe Kleiderkammer“, erinnert sie sich an die ersten Tage des Kennenlernens und Ankommens. Auch an Lisas bange Frage, ob sie denn jetzt hier bleiben dürften oder nochmal umziehen müssten.
„Zusammenleben klappt prima.“
Nachdem die nötigen Behördengänge erledigt waren, hätten die Halishchevas sich eine eigene Wohnung suchen können – aber Tina Altenburg machte ihnen schnell klar: Ihre Mitbewohnerinnen können bleiben, solange sie wollen: „Wenn alles gut läuft, habe ich damit gar kein Problem.“ Ihre eigenen Söhne, 16 und 18, wohnen unterm Dach, ihre elfjährige Tochter hat ihr eigenes Zimmer, und sie selbst schläft auf der Couch ganz passabel. „Das Zusammenleben klappt prima, wir treten uns nicht auf die Füße“, sagt sie.
Unterhalten mit Übersetzungs-App
Die beiden Frauen wechseln sich mit dem Kochen ab: So gibt es manchmal auch Borschtsch, eine ukrainische Suppe, oder einen Osterkuchen nach Irynas Rezept, von dem Tina Altenburg und ihre Kinder noch immer schwärmen. „Wir schauen Fußball zusammen und trinken auch mal einen Prosecco. Außerdem bekomme ich jetzt sehr oft Blumen“, sagt Tina. „Wir verstehen uns wirklich gut.“ Da niemand wirklich gut die Sprache des anderen spricht und nur Irynas Tochter Lisa recht gut Englisch kann, hilft beim Kommunizieren vor allem eine Übersetzungs-App – was oft zu lustigen Missverständnissen führe. Aber auch Iryna fühlt sich wohl in ihrer momentanen Zuhause und findet: „Die Menschen hier sind alle sehr positiv und nicht nur zu uns nett, sondern auch untereinander.“
Schule, Deutschkurs und Sehnsucht nach Zuhause
In den ersten Wochen habe sie mit ihren Töchtern vor allem die nähere Umgebung erkundet: „Wir sind im Wald und in Parks spazieren gegangen“, erzählt sie. Inzwischen haben sie schon viele Ausflüge unternommen, fahren selbstständig in die Stadt, gehen aber auch mal mit zu einem Tusem-Fußballspiel am Fibelweg. Iryna lernt Deutsch und hat Kontakte auf der Höhe geknüpft, passt manchmal auf das Kleinkind einer Nachbarin auf. „Er bringt mir die Sprache bei“, sagt sie lächelnd. Lisa und Ulyana gehen mittlerweile in Holsterhausen die Schule – in die achte bzw. erste Klasse – und fühlen sich wohl. Trotzdem sagt Lisa traurig: „Ich bin gerne hier, aber noch lieber wäre ich wieder zu Hause bei meinen Freunden und in meiner Schule. Ich möchte so gerne zurück, aber im Moment geht das nicht.“
Ihre Mutter erklärt: „Viele Bekannte von uns kehren inzwischen nach Hause zurück, allerdings nicht in den Osten. In unserer Region wird zurzeit sehr hart gekämpft und es wäre beängstigend, dort zu sein.“ Ihre Eltern sind nach wie vor in der Heimat, sie wollen nicht gehen. „Aber meine Schwester ist jetzt auch nach Essen gekommen und wohnt bei einer anderen Familie auf der Margarethenhöhe.“ Ob und wann sie wieder in die Heimat können, zu Großeltern, Katze, Freunden – die Halishchevas wissen es nicht.
Wohnraum für Geflüchtete
Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges hat die Margarethe Krupp-Stiftung sofort reagiert und Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung gestellt: Insgesamt sieben Wohnungen habe man inzwischen an Geflüchtete aus der Ukraine vermietet, erklärt Prokurist Jochen Biefang. Weitere 15 bis 20 Familien hätten sich bei der Stiftung gemeldet, weil sie privat Familien aus der Ukraine aufgenommen hätten und dies vom Vermieter abgesegnet wissen wollten. „Wir freuen uns und sind stolz darauf, dass die Bewohner der Margarethenhöhe so hilfsbereit sind“, betont Jochen Biefang. In den Jahren 2014 und 2015 habe die Stiftung bereits Menschen aus Syrien aufgenommen und damals vier Wohnungen zur Verfügung gestellt. „Drei Familien leben immer noch auf der Margarethenhöhe und haben sich inzwischen sehr gut in die Gemeinschaft integriert.“
Fotos: Tanja Wuschof