St. Martin – wie es früher war
Heinz Kaschulla
Heinz Kaschulla lebt seit über 70 Jahren auf der Margarethenhöhe. Er trägt persönliche Erinnerungen und historische Fakten über seinen Heimatstadtteil zusammen - für sich selbst, seine Kinder und Enkelkinder. Und auch für diesen Blog stellt er seine umfangreichen Recherchen zur Verfügung.
Schon immer ein Besuchermagnet
Die Erinnerungen an die Martinszüge in den 1950ern und in den Folgejahren sollen hier einmal zusammengefasst werden und beschreiben, wie schön die Züge damals schon waren. Der neue Teil der Margarethenhöhe, auch Margarethenhöhe II genannt, existierte in den 1950er Jahren ja noch nicht, also startete der Zug beim Schulhof. Aber erst, wenn St. Martin auf dem Pferd dort erschien.
Die Häuser an den Straßen, durch die der Zug führte, waren mit Kerzen und Lampions geschmückt. Die Straßenbeleuchtung erfolgte noch längere Zeit mit Gaslaternen, die mit ihrem besonderen Licht zusätzlich für eine warme Atmosphäre sorgten. An den Straßenrändern standen beidseitig Familien mit ihren Kindern, die meisten hielten (Pech)-Fackeln (die waren da noch erlaubt) oder Lampions. Damit das evtl. abtropfende Pech nicht auf die Hände fiel, wurde am Stiel über der Hand ein Bierdeckel platziert.
Pechfackeln und Martinsspiel an der Treppe
Der Zug, von mehreren Musik-Kapellen begleitet, zog an den Menschen vorbei, die St. Martin mit Gesang begrüßten. Die meisten Familien reihten sich dann ans Ende des Zuges ein, so wurde er immer länger. Da ja viele schon vor dem Einreihen sangen, weil die Musik an ihnen vorbeigezogen waren, sangen die meisten Leute dann auch weiter. Viele der Nicht-Textsicheren hatten sich im Laufe der Zeit, auf Anregung aus einem Kindergarten hin, Hilfen in Form von Lampions gebastelt: Auf der durchsichtigen äußeren Hülle standen die Texte und die Kerzen in den Lampions beleuchteten diese.
Der Zug endete, wie heute, auf dem Kleinen Markt. Die Menschen stellten sich so auf, dass eine breite Gasse am Brunnen vorbei zur Treppe entstand, durch die St. Martin, hoch zu Ross, ritt. Unten an der Treppe saß ein Bettler. St. Martin stieg ab, sprach mit dem Bettler, zerteilte seinen Umhang und übergab zum Gesang des Martinsliedes eine Hälfte an den Bettler. Der Umhang war entsprechend präpariert. Auf der Treppe, die vom damaligen Konsum-Gebäude (heute Edeka) zum Markt führte, standen die Kinder der Kindergärten und sangen Martinslieder. Danach verließ St. Martin den Markt wieder hoch zu Ross.
Schon damals viele auswärtige Besucher
Im Laufe der Jahre nahm die Besucherzahl bei den Martinszügen immer mehr zu. Mund-Propaganda und Berichte in den Zeitungen lockten viele auswärtige Gäste wegen der besonderen Atmosphäre hierher. In einem Jahr irgendwann in den 1990er Jahren sollen es 5000 Menschen gewesen sein, die mit dem Zug gehen oder nur zusehen wollten.
Als der Zug mit dem Reiter am Rondell der Kreuzung Stensstraße/Hoher Weg ankam, hatten sich dort so viele Menschen versammelt, die St.Martin ganz nah sehen wollten, dass es für Ross und Reiter und die Menschen selbst zu gefährlich wurde, an ihnen Vorbeizureiten. Deshalb bog St. Martin dort ab in den Hohen Weg und stellte sich oben an der Treppe vor dem Konsum auf – das ist bis heute so.
Um auch dort Menschen, Ross und Reiter zu schützen, hielten einige Helfer ein Seil rechts, links und hinten im Abstand um Ross und Reiter herum. Die Szene mit dem Bettler entfiel dadurch, doch die Kindergarten-Kinder sangen weiterhin. Anschließend wurden die Martinsgänse verlost.
Martin-Gänse und Stutenkerle
Die Gänse, die die Landwirte züchteten, wurden ja regulär freilaufend gehalten. Zum Herbst mussten die Tiere von den Weiden, weil sie dort kein Futter mehr finden konnten, und wurden dann verkauft oder geschlachtet. Zu St.Martin war dazu der richtige Zeitpunkt, weshalb die Bezeichnung „Martins-Gans“ entstand.
Zu St. Martin-Zug gab es immer Stutenkerle, die richtigen, die mit den kleinen, weißen Ton-Pfeifen. Diese Stutenkerle bekam man gegen den Kauf von Wertbons. Diese Bons waren mit Ziffern versehen, wodurch sie zugleich als Lose für die Martinsgänse funktionierten. Die Stutenkerle wurden vom hier ansässigen Bäcker gebacken und waren super lecker. Der Bäcker fertigte noch einen weiteren, viel größeren Stutenkerl, den St. Martin als Dank für seine Anwesenheit bekam.
Verlosung von Gans und Gänse-Essen
Eine Anzahl noch lebender Martinsgänse wurde von Bauer Barkhoff mit Traktor und Leiterwagen am Martinsabend zum Markt gefahren. Die Gänse konnten betrachtet und dann bei einem evtl. Gewinn ausgesucht werden. Geschlachtet und vorbereitet wurden sie von einem Metzger. Zu einem bekanntgegebenen Termin konnte dann jeder seine Gans abholen und zu Hause zubereiten.
Später veränderte sich die Anzahl der Gänse: Lediglich drei Gänse, noch lebend, wurden in der gleichen Form zum Markt zur Begutachtung gebracht. Das anschließende Procedere blieb. Als nächstes verringerte sich dann die Zahl der Gänse auf eine, die verlost wurde. Das Procedere mit den Stutenkerlen und den Losen wurde übernommen, aber das Beschauen und Schlachten der Gans entfiel: Diese eine Gans war bereits geschlachtet worden und konnte vom Gewinner tiefgefroren beim Metzger abgeholt werden
Die letzte Änderung kam dann aber auch noch: Keine Martinsgans war mehr zu gewinnen, sondern ein „Martins-Essen“ in einem Restaurant vor Ort.
Der Reiter und das Pferd des St. Martin
Dem römischen Vorbild nachempfunden trug der Reiter, der den heiligen Martin darstellte, einen Umhang und eine Kopfbedeckung, die vom Aussehen her einem römischen Offizier zuzurechnen wäre. Die Geschichte erzählt, dass Martinus ein solcher war. Bauer Barkhoff besaß mehrere Shetland-Ponys für Kutschfahrten, die er für seine Gäste durchführte, und neben seinem Traktor auch ein Pferd. Dieses Pferd stellte er dem Reiter, der St.Martin in den Umzügen darstellte, zur Verfügung.
Erst ritt Herrn Emmerich, dann Herr Kloydt viele Jahre das Pferd und ermöglichte dem Martinzug die Reiter-Begleitung. Als Herr Kloydt nicht mehr zur Verfügung stand und es das Pferd von Bauer Barkhoff nicht mehr gab (Pferde- Einsatz in der Landwirtschaft war nicht mehr notwendig), drohte dieses wichtige Attribut des Martinszuges zu entfallen.
Reiterstaffel der Polizei springt ein
Es fand sich aber ein Ausweg: Anfang des 20.Jahrhunderts wurden die Reiterstaffeln der Polizei gegründet. Abteilungen davon gab es auch in NRW, sogar in der Polizeischule an der Norbertstraße hier in Essen. Die Reiter der Reiterstaffel begleiteten die Martinszüge der Stadtteile seit dieser Zeit traditionell immer wieder. In Essen sollen es zeitweilig bis zu 76 Martinszüge gewesen sein. Aus der Reiterstaffel in Essen begleitete Reiner Steinmetz eine Zeit lang den Martinszug auf der Margarethenhöhe.
Als 1980 Peter Gellrich in die Reiterstaffel eintrat und Reiterpolizist wurde, wollte er diese schöne Aufgabe in dem Stadtteil, in dem er aufgewachsen war und in dem er damals auch wohnte, übernehmen. Also begleitete Peter Gellrich ab 1980 unseren Martinszug, bis die Reiterstaffel 2002 durch landespolitischen Willen aufgelöst wurde. Damit standen ab diesem Zeitpunkt keine Reiterpolizisten und damit auch keine Pferde mehr zur Verfügung. War Peter Gellrich übrigens einmal nicht verfügbar, sprang sein Kollege Uli Höhner gerne ein und begleitete den Martinszug.
Schlusslied und neue Martinsfrau
Nach der Auflösung der NRW-Reiterstaffel war Frau Nicola Haarreiter, die bisherige Pferdepflegerin der Reiterstaffel, bereit, den Martinszug bei uns mit ihrem privaten Pferd zu begleiten, und stand dem Zug bis 2012 als St. Martin(a) zur Verfügung.
Als Abschluss der St.-Martin-Veranstaltungen wurde stets das Lied „Kein schöner Land“ von allen gemeinsam gesungen.
Foto ganz oben: Gemälde von Fried Theissen / Foto: Heinz Kaschulla
Fotos vom Martinszug 2019: Tanja Wuschof