Über 100 Mal „Glückauf“

Über 100 Mal „Glückauf“

6. April 2022 1 Von Sonja Mersch

„Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt…“ schallt es jeden Sonntagabend aus der Waldlehne – und das schon seit über zwei Jahren: Pünktlich um 18 Uhr stellen sich Anwohner rund um Hausnummer 7-9 auf Gehweg und Straße auf, einer zückt die Gitarre, und dann wird das Steigerlied gesungen – alle Strophen. „Manchmal bleiben Spaziergänger stehen und singen mit, es sind auch schonmal Musiker vorbeigekommen“, erzählt Svenja, die mit Mann und drei Kindern an der Waldlehne wohnt. Für sie und gut 16 weitere Nachbarn ist das sonntägliche Singen des Steigerliedes eine liebe Tradition geworden – „generationsübergreifend“, sagt sie, denn der älteste Teilnehmer ist 88 Jahre alt, der jüngste erst fünf Jahre.

„Miteinander – füreinander in schwierigen Zeiten“

„Warum wir das machen? Es gab vor zwei Jahren, kurz nach dem ersten Lockdown, einen Aufruf der Essener Philharmoniker, an einem Sonntag um 18 Uhr vor die Haustür zu gehen und das Steigerlied zu singen“, erzählt Svenja. Die Aktion sollte den Zusammenhalt in der Corona-Krise stärken. Dem Aufruf seien sie und einige Nachbarn gefolgt – „und von da an haben wir einfach nie wieder damit aufgehört“, erklärt sie lachend. Jeden Sonntag habe man sich seitdem draußen zum Singen verabredet – anfangs oft mit Abstand, jeder vor seiner Tür, später auch in geselliger Runde: Da wurde spontan um Mitternacht in einen Geburtstag hineingefeiert, zu Weihnachten gab es Glühwein, an Ostern warf sich jemand extra in ein Hasenkostüm – und wer im Urlaub war, schaltete sich oft sogar per Handy zu. „Manchmal ist es eskaliert“, da sind sich alle „Corona-Singers“ einig, wenn sie sich an die Highlights der vergangenen zwei Jahre erinnern:

Eine tolle Nachbarschaft ist entstanden

„Seit dem 5. April 2020 haben wir schon mehr als 100 Mal gesungen“, rechnet Dietmar zusammen. Lange Zeit durfte man keine Kontakte haben – doch zumindest beim wöchentlichen Singen habe man sich treffen können – egal bei welchem Wetter, auch bei Regen oder Hagel: „Dann haben wir uns ganz eng an die Hauswand gedrückt oder unter einem Schirm gestanden“, sagt Dietmar. „Dadurch hat sich eine ganz tolle Nachbarschaft entwickelt“, findet Svenja. Sogar ein Sommerfest hat es schon gegeben mit Bänken und Grill auf der Straße bis in die Nacht. „Viele von uns sind gar nicht so sehr wegen des Singens hier, sondern wegen der Gemeinschaft“, erklärt Dietmar. „Vorher kannte man sich natürlich vom Sehen, aber jetzt weiß man viel mehr voneinander und kennt sich besser, weil man nach dem Singen immer noch was zusammen trinkt und dabei aus dem Nähkästchen plaudert.“

„Gäste sind herzlich willkommen“

Und das Singen geht weiter: „Bis Corona vorbei ist“, hatten sie mal scherzhaft gesagt. Da könnten also noch so einige Sonntage kommen. Und warum sollte man auch aufhören? Und falls jetzt jemand Lust bekommen hat, mal bei den „Corona Singers“ vorbeizuschauen – nur zu: „Gäste sind immer herzlich willkommen.“

Fotos: diehoehe.de und Anwohner der Waldlehne