Die Straßenbahn zur Margarethenhöhe
Manfred Raub
Manfred Raub lebt seit 43 Jahren auf der Margarethenhöhe. Er ist Mitbegründer des Kunstkreises Margarethenhöhe und Inhaber des Ateliers am Laubenweg. Seit 15 Jahren ist er als Gästeführer auf der Höhe unterwegs. Aus seiner umfangreichen historischen Foto- und Postkartensammlung erstellt er regelmäßig Kalender und unterstützt auch diesen Blog mit Texten und Bildern.
Bild oben: Die Haltestelle „Margarethenhöhe“ auf einer Postkarte, die 1915 verschickt wurde. Vorne im Wald kann man das Toiletten-Häuschen für das Fahrpersonal erkennen. Karte: Slg. Manfred Raub
Links die Fahrt und rechts die Bremse…
Die Straßenbahn zur Margarethenhöhe
Als Margarethe Krupp im Jahr 1906 die Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge gründete und ab 1911 die ersten Mieter einzogen, war klar, dass dieser „neue Stadtteil“ an die Innenstadt von Essen durch eine Straßenbahnlinie angebunden werden sollte. In der Industriestadt Essen wurden bereits im Jahr 1890 die ersten beiden Straßenbahnlinien vom Hauptbahnhof nach Altenessen (Bahnhof) und Borbeck in Betrieb genommen. Weitere Gleisstrecken kamen dazu und 1907 fuhren die Bahnen bereits bis zur Rubensstraße in Holsterhausen um die neugebauten „Städtischen Krankenanstalten“ besser erreichbar zu machen. Dies waren die Linien 7 und 8. Die Weiterführung der Gleise Richtung Margarethenhöhe stellte die Planer vor große Herausforderungen: Grundstücke mussten erworben, das Stück Holsterhauser Straße, der sogenannte „Holsterhauser Berg“, musste neu trassiert werden.
Am 1. Juli 1912 war es endlich soweit: die Strecke wurde bis zur heutigen Haltestelle „Halbe Höhe“ eingeweiht. Die Endhaltestelle hieß damals noch „Mühlbachtal“ und befand sich vor der Brücke zur Margarethenhöhe. Die Brücke war zwar seit 1911 fertiggestellt, durfte aber, da das Füllmaterial der Brücke sich erst setzen und festigen musste, lange Zeit nur von Fußgängern benutzt werden. Auch die Möbelwagen für die ersten Bewohner mussten weite Umwege über Rüttenscheid und die Lührmannstraße nehmen.
Endlich über die Brücke fahren…
Die Gleisanlagen für die Straßenbahn über die Margarethenbrücke waren Mitte 1912 schon lange fertig und die Brücke durfte befahren werden. Aber die Eisenbahndirektion äußerte Bedenken bezüglich ihrer Signalleitungen für die Eisenbahnlinie. Diese verliefen unter der Brücke hindurch parallel zu den Gleisen. Die Fahrten der Straßenbahn über die Brücke wurden untersagt, weil man Schäden an diesen Leitungen befürchtete. Deshalb konnten die Wagen vorerst nur bis zur heutigen „Halbe Höhe“ fahren. So kam es, dass die ersten Bewohner noch über die Brücke gehen mussten, wenn sie mit der „Elektrischen“, wie man damals sagte, fahren wollten. Darüber gab es rege Diskussionen in den damaligen Essener Tageszeitungen. Aber am 12. Oktober 1912 war es endlich soweit: die Eisenbahngesellschaft gab nach dreineinhalb Monaten ihre Blockadehaltung auf und die Straßenbahn konnte endlich die Brücke überqueren, bis zur End-Haltestelle „Margarethenhöhe“ gegenüber der Einmündung der Winkelstraße in die Sommerburgstraße. Nun war die Margarethenhöhe richtig an das Streckennetz der Essener Straßenbahn angebunden.
Beschwerden über die Fahrpreise
Aber schon kurz nach der Eröffnung dieser neuen Strecke gab es Beschwerden über die hohen Fahrpreise. In einem Leserbrief vom 6. Juli an die Essener Volks-Zeitung wurden die Preise für andere Strecken bei größerer Entfernung, wo die Fahrt nur 10 Pfg. kostete, mit dem Preis von 15 Pfg. der kürzeren Strecke von Holsterhausen und Margarethenhöhe aus zur Stadtmitte, gegenübergestellt. Auch wurden die im allgemeinen niedrigeren Fahrpreise anderer Großstädte erwähnt. Es waren also schon damals, genauso wie heute immer noch, die Fahrpreise Anlass zu Diskussionen. Wenn uns heutzutage der Preis von 15 Pfg für eine Fahrt wenig erscheint, muss man einmal die Kaufkraft und Durchschnittseinkommen von damals mit heute vergleichen: Die 15 Pfg. im Jahr 1912 entsprechen heute dem Betrag von 0,93 € (Quelle: Bundesbank.de). Ein Krupp-Arbeiter verdiente zu dieser Zeit im Durchschnitt 5,44 Mark pro Tag, das heißt rd. 1600 Mark jährlich. Bei dem Verdienst muss man noch zugrundelegen, dass ein „Kruppianer“ für seine Werkswohnung nur „eine geringe Miete“ bezahlen musste. Diese Miete betrug, hier die Zahl für 1897, je nach Wohnungsgröße durchschnittlich 148,17 Mark jährlich. Leider konnte ich keine neueren Zahlen herausfinden, aber 15 Jahre später könnte die Miete nicht viel höher gewesen sein. Ein beamteter Schaffner verdiente 1912 in Preußen 1200 Mark zzgl. eines Wohnzuschusses, je nach Wohnort, von bis zu 240 Mark pro Jahr. Ein Pfund Schwarzbrot kostete 18 Pfg., ein Kilo Speck 1,82 Mark und 100 kg Kartoffeln 7,73 Mark (Preise von 1909).
Es passierten auch mehrere Unfälle
Am 31. August 1916 kam es zu einem Unglück, die Essener Volks-Zeitung berichtete darüber: „Entgleist ist am Donnerstagabend gegen 6 1/2 Uhr in der Pilotystraße in der Nähe der Margarethenhöhe eine Straßenbahn, fuhr gegen einen Mast und wurde stark beschädigt. Mehrere Insassen erlitten leichte Verletzungen.“
Trotz einer Ampel mit einem Totenkopf, die oberhalb der Fahrleitung angebracht und beleuchtet war, geschahen in der Folgezeit ähnliche Unglücke, auch mit Todesfolge, wie jenes am 13. November 1917. Die Essener Volks-Zeitung schrieb: „Auf der Strecke nach der Margarethenhöhe in der Nähe der Pilotystraße, sprang gestern Abend kurz nach 7 ½ Uhr ein vollbesetzter Straßenbahnwagen bei der Fahrt bergab, angeblich infolge Versagens der Bremse, aus dem Gleise und schlug um. Das Unglück hatte leider schwere Folgen: eine Person wurde getötet, etwa sieben, darunter eine Schaffnerin, wurden schwer und etwa 25 leichter verletzt…“ Die erwähnte Schaffnerin ist wenig später an ihren erlittenen Verletzungen gestorben. Für sie wurde ein Nachruf von der Straßenbahngesellschaft in der Tageszeitung veröffentlicht.
Weiterbau bis zu den Haltestellen Laubenweg und Lührmannstraße
Durch Krieg, Inflation und die französische Besatzungszeit 1923 bis 1925 verzögerte sich der Weiterbau der Strecke. Erst ab dem 5. November 1927 fuhren die Wagen, immer noch die Linien 7 und 8 bis zur Endhaltestelle „Laubenweg“. Und es sollte dann noch bis zum 20. Mai 1951 dauern, bis die Strecke der Linie 7 zur Gleisschleife am Lührmannwald verlängert wurde. In der NRZ vom 19. Mai erschien dazu nur ein knapp gehaltener Artikel: „Neuer Straßenbahn-Sommerfahrplan … Die Linien 7 und 10 fahren ab Sonntag, dem 20. Mai d. J. auf der neuen Strecke von Essen Hbf. über Gemarkenplatz zur Margarethenhöhe. Die Linie 10 endet wie bisher an der Haltestelle Margarethenhöhe/Laubenweg. Die Linie 7 wird im 20-Minuten-Verkehr bis zur Endstelle Margarethenhöhe/Lührmannstraße durchgeführt. …“ Später fuhr dann auch die Linie 10 die Sommerburgstraße entlang bis zur neuen Gleisschleife. Von hier aus wollte man zu einem späteren Zeitpunkt die Straßenbahn zum neueren Teil der Margarethenhöhe weiterführen. Soweit sollte es aber nicht mehr kommen.
Die U-Bahn kommt
1964 begann die Stadt Essen mit den Planungen zum Bau von – teils unterirdischen – Stadtbahnstrecken. Im Zuge dieses Ausbaus wurde der Straßenbahnverkehr zur Margarethenhöhe im Jahr 1977 eingestellt und für die Dauer des Neubaus gut vier Jahre mit den Omnibussen der Linie 57 (ab 1980 mit Einführung der dreistelligen Liniennummern als 157 bezeichnet) im Ersatzverkehr betrieben. Vier Jahre später, ab Sommer 1981 fanden Probe- und Schulungsfahrten statt und zu den Feierlichkeiten anlässlich des 75. Gründungsjahres der Margarethe Krupp-Stiftung vom 26. September bis zum 4. Oktober konnte in der Gleis-Schleife am Lührmannwald und gleichzeitige Endhaltestelle „Margarethenhöhe“ bereits einer der neuen Stadtbahnwagen neben einem historischen Triebwagen bestaunt werden. Die offizielle Einweihung der neuen Linie U17 zur Margarethenhöhe, mit den ebenfalls neuen Stationen Berliner Platz und Universität Essen in der Innenstadt, erfolgte dann am 27. November 1981.
Erneuerung der Bahnsteige
In einer rund zweijährigen Baumaßnahme ab Sommer 2000 wurden dann neben den Gleisen auch die fünf Haltestellen ab Gemarkenplatz erneuert und durch die Errichtung von Hochbahnsteigen barrierefrei gestaltet. Während dieser Arbeiten fuhr ab Gemarkenplatz im Schienenersatzverkehr die Buslinie 117 zur Margarethenhöhe. Die Gleisschleife an der Margarethenhöhe wurde zugunsten einer zweigleisigen Stumpfendstelle die bereits für eine eventuelle Streckenverlängerung ausgelegt ist, abgebaut. Heute befinden sich an Stelle der Gleisschleife das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr Margarethenhöhe und ein Parkplatz. Seit März 2023 werden die Pläne zum weiteren Ausbau der U17 zur Anbindung des Büropark Bredeney wieder diskutiert. Die Straßenbahn/U-Bahn zur Margarethenhöhe ist also noch nicht an ihrer Endhaltestelle angekommen…