Die Margarethenhöhe – Idee und Realisierung

Heinz Kaschulla
Heinz Kaschulla lebt seit über 70 Jahren auf der Margarethenhöhe. Er trägt persönliche Erinnerungen und historische Fakten über seinen Heimatstadtteil zusammen - für sich selbst, seine Kinder und Enkelkinder. Und auch für diesen Blog stellt er seine umfangreichen Recherchen zur Verfügung.
Das Sozialwerk der Familie Krupp
Alfred Krupp hatte für Planung und Bauen der vielen industriellen und repräsentativen Bauten des Unternehmens ein Baubüro eingerichtet. Dieses war zuständig für die Errichtung der Gebäude der Werkstätten, aber auch für die Villa Hügel und die Meisterhäuser der leitenden Angestellten.
Alfred Krupp hatte aber auch früh erkennen müssen, dass es notwendig und hilfreich war, den vielen Arbeitern in seinen Werken Wohn-Quartiere zur Verfügung zu stellen. Anfangs wurden Wohnungen angemietet, doch die rasant steigende Zahl der Arbeitskräfte überforderte den städtischen Wohnungsbau. Das Baubüro baute in der Nähe der Werke Arbeiter-Siedlungen wie z.B. Westend, Cronenberg, Schederhof usw. Das Baubüro leitete Robert-Schmohl.
1887 starb Alfred Krupp und hinterließ alles dem Sohn Friedrich Alfred. Das eingerichtete Sozialwerk wurde fortgesetzt, u.a. mit dem Bau der Siedlungen Alfredshof und Altenhof. Altenhof I und II waren Alters-Quartiere für die Mitarbeiter, die gesundheitlich oder altersmäßig nicht mehr in der Lage waren, eigenen Wohnraum zu finanzieren,



Ankauf von großen Flächen
Im Krupp-Unternehmen war Finanzrat Ernst Haux einer der Vertrauten von Margarethe Krupp. Er empfahl ihr in den frühen 1900er Jahren, Grundstücke „auf Vorrat“ zu kaufen. Dazu boten sich unter anderem die der heutigen Margarethenhöhe an, an denen auch die Stadtverwaltung Essen Interesse gezeigt hatte. Bereits 1897 hatte die Stadt deshalb von Rüttenscheid aus in das zu der Zeit noch als landwirtschaftliche Fläche genutztes Gebiet der heutigen Margarethenhöhe eine Straße bauen lassen, die Paulstraße.
1906 erfolgte die Umbenennung in Reinhardstraße, dann 1907 in Lührmannstraße.
Margarethe nahm den Rat an und ließ Haux über einen Strohmann die gesamten Grundstücke bis 1904 kaufen. Die erworbene Gesamtfläche betrug 232 ha / 17 ar / 82 qm, also fast 250 ha, und lag zwischen Mühlbachtal, Sommerburgtal, Margarethental, Nachtigallental und Nikolausstraße (später Nicodemiusstraße und ab Mai 1906 Norbertstraße).
Haux war bei den Verhandlungen mittels Strohmann so geschickt, dass Margarethe Krupp nicht mehr als die bereits im Vorfeld mit den Bauern und Köttern von der Stadtverwaltung Essen ausgehandelten Preise bezahlen musste. Das wäre sonst sicher anders ausgegangen.


Großzügigkeit
Friedrich Alfred Krupp vererbte das gesamte Unternehmen seiner Tochter Bertha. Bis zu Ihrer Volljährigkeit verwaltete die Mutter Margarethe Krupp das Erbe.
Es war zu dieser Zeit bei vielen wohlhabenden Bürgerfamilien üblich, bei Krupp und anderen auch, familiäre Ereignisse zu feiern, indem bedeutende Summen für die Allgemeinheit gespendet wurden.
In Margarethe Krupp entwickelte sich die Idee, eine Siedlung zu bauen, die Ihren Namen trug und nicht nur für Kruppianer sein sollte. Außerdem sollte diese Siedlung sauberen und hygienischen Lebensraum mit grünem Umfeld nach dem Beispiel der britischen Gartenstadt-Idee sein. Sie hatte diese kennengelernt in der Zeit, als sie dort als Erzieherin für die Aristokratie tätig war.
Die Stiftung
Anlässlich der Heirat von Tochter Bertha mit Gustav von Bohlen und Halbach richtete Margarethe Krupp 1906 eine Stiftung ein, die sie aus Ihrem privaten Vermögen mit 1 Million Mark und 50 ha Bauland aus dem bis 1904 gekauftem Gesamtbestand ausstattete.
Später, in der Bauphase, erhöhte sie die Einlage um eine weitere Million Mark und stellte bei Bedarf zinsgünstige Darlehen zur Verfügung.
Auch übernahm sie ein Drittel der Kosten für den Bau der Margarethen-Brücke. (s. G.Steinhauer: 50 Jahre MKS)
Mit der Stiftung verfügte Sie, dass die Geschäfte der Stiftung durch ein Kuratorium geführt werden sollte das aus 11 Personen bestehe: 5 Mitglieder sollte die Stadtverwaltung Essen und 5 Mitglieder der Krupp-Konzern stellen. Den Vorsitz des Kuratoriums sollte der Oberbürgermeister der Stadt Essen übernehmen.
Mit der Stiftung sollte eine Siedlung gebaut werden für die s.g. minderbemittelte Klasse, was im damaligen Sprachgebrauch bedeutete, dass Menschen hier wohnen sollten, die wirtschaftlich schon gut gestellt waren, doch nicht in der Lage waren, sich ein eigenes Haus bauen zu können.
Als Anwohner sollten zwar Arbeiter, Angestellte und „Krupp-Beamte“, die also schon in gehobenen Stellungen tätig waren, berücksichtigt werden, aber nur in angemessenem Rahmen, da die Siedlung auch allen anderen Menschen der Stadt offenstehen sollte.
Bis heute wurde diese Regel eingehalten. Der Anteil der „Kruppianer“ war nie höher als ca. 50%.
Die Stiftung erhielt im Mai 1907 durch die Landesregierung die Genehmigung zur Einrichtung.


Suche und Auswahl des Architekten
Der Architekt, der die Siedlung planen und bauen sollte, wurde durch Robert Schmohl gesucht. Er reiste dafür durch ganz Deutschland und stellte eine Auswahl von 12 Architekten zusammen. Aus dieser Liste fiel dann die Wahl auf Georg Metzendorf aus Heppenheim in Hessen.
Metzendorf war 1907 dem Zusammenschluss von Künstlern, Kunsthandwerkern, Designern, Architekten und Industriellen, genannt Deutscher Werkbund, beigetreten. 1908 entwarf er ein Arbeiterwohnhaus und stellte es auf der Hessische Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst in Darmstadt vor. Das Haus fand viel Beachtung.
Metzendorf wurde vom Stiftungsvorstand ausgewählt und zum 01. Januar 1909 von der Stadt Essen angestellt und mit dieser großen Aufgabe betraut. Er war 34 Jahre jung und konnte damit der gesamten Bauphase zur Verfügung stehen. Sein Vertrag wurde entsprechend für 25 Jahre verfaßt.
Die erste Planung
Nach den Plänen von Metzendorf sollte in der ersten Bauphase neben den Häusern des 1. Bauabschnittes, der die Häuser an der Steilen Straße (da noch Giebelstraße), Stens- und Winkelstraße beinhaltete, zuerst eine Brücke über das Mühlbachtal gebaut werden, um die Zulieferung der enormen Mengen an benötigtem Baumaterial zu erleichtern und zu gewährleisten. Die bisherigen Verbindungswege zum Gelände, das einmal die Margarethenhöhe heißen sollte, waren Karrenwege über Stock und Stein und bei Regenfällen oder im Winter Schlammpfade. Die bereits gebaute Paulstraße (s.o.) war natürlich zu dieser Zeit auch noch nicht in einem besseren Zustand.
Die Stadtverwaltung wählte aus den vorgelegten Vorschlägen die Ausführung der Brücke die Variante in Ruhr-Sandstein aus. Für die Finanzierung des Brückenbaus übernahm Margarethe Krupp erneut 1/3 der Kosten.
1910 wurde die Brücke über das Mühlbachtal und die ersten Häuser des ersten Bauabschnittes fertiggestellt.

Köster, Dichtung in Stein und Grün
Metzendorf hatte bei der Gestaltung der Siedlung und der Häuser, auch von höchsten Verwaltungsstellen, komplett freie Hand bekommen. Er wurde von allen existierenden Bauordnungs-Vorgaben befreit.
Das erste Haus das 1910 bezugsfertig wurde, war das Haus, das später die Lagebezeichnung „Am Brückenkopf 8“ erhielt. Bauführer Spahn, der dem Architekten Metzendorf zur Seite stand, zog in dieses zuerst fertiggestellte Haus und nutzte es als Baubüro für den Siedlungsbau.
Die Baupläne wurden mehrfach verändert, schon der Plan von 1912 sieht sehr viel anders aus als der von 1909.

Bildarchiv Foto Marburg, Philips Universität: LIC Heinz Kaschulla
Ideen für die Häuser
Metzendorf hatte auf der Darmstädter Ausstellung das viel beachtete Arbeiterwohnhaus vorgestellt, dessen Zuschnitt hier verwendet werden sollte.
Metzendorf war bewusst, dass die großartige Spende von 1 Million Mark nicht ewig reichen würde. So verwendete er zur Kostenreduzierung immer wiederkehrende Raumaufteilungen für kleinere und größere Häuser, er standardisierte.
Um die Vorgabe von Margarethe Krupp nach hygienischem und komfortablem Wohnen zu realisieren, wurden in jedem Haus innenliegende Toiletten und Bade- und Waschmöglichkeiten eingebaut. Dieser Bereich der „üblen Gerüche“ wurde räumlich getrennt von Küchen- und Wohnbereich eingerichtet.
Die Beheizungs- und Kochstelle wurde baulich zentralisiert. Sie wärmte den kompletten Lebensbereich im Erdgeschoß und über Lüftungskanäle die oberen Räume. Die Heiz- und Kochstelle wurde in der ersten Zeit handwerklich noch gemauert. Das war zeitlaufwendig und kostenintensiv.
Metzendorf suchte und fand ein Unternehmen, das diese Zentrale in Metall einbaufertig herstellte und einbaute. Das als DRUNA-Heizung bekannt gewordene Heizsystem war geboren.
Um einer Eintönigkeit der äußeren Gestaltung bei den Gebäuden durch die standardisierten Fenster und Türen zu entgehen, ließ er diese und bestimmte Gebäudeteile unterschiedlich gestalten.
Der Architekt und die Nachfolger
Im Laufe der Jahre 1910 bis 1934 wuchs der neue Stadtteil in 25 Bauabschnitten. 1934 starb Metzendorf nach kurzem krankheitsbedingten vorzeitigem Ruhestand.
Sein Mitarbeiter, der Architekt Carl Mink, vollendete die vorgeplante erste Bauphase bis zum geplanten Bauabschnitt 29 nach den Plänen von Metzendorf bis 1938, verstarb aber leider auch schon 1939.
Die bisher schon mitarbeitenden Architekten Funke und Fierenkotten führten die Arbeit nach ihren eigenen Ideen und im Rahmen der Vorgaben fort.
In diesen nachfolgenden Bauabschnitten kann man erkennen, dass das Aussehen vereinfacht wurde, um die gestiegenen Baustoffpreise und Löhne aufzufangen. Das Konzept, hygienisch und komfortabel mit eigenem Gartenstück zu bauen wurde beibehalten.

Bestandsplan MKS
Der Waldgürtel in den Tälern
Margarethe Krupp spendete aber nicht nur das Bauland und die Gelder für die Gebäude, sondern wollte auch einen Erholungsbereich für die Menschen bereitstellen.
Aus dem Gesamtpaket der erworbenen Grundflächen ließ sie weitere ca. 50 ha Land zu einem Waldgürtel in den Bachtälern, die die Margarethenhöhe umschließen, von den Kruppschen Gärtnern, die auch die Gärten und Wälder der Villa Hügel betreuten, aufforsten.
Dieser Waldgürtel ging 1907 als s.g. Promenadenschenkung an die Stadt Essen mit der Auflage, diesen für immer als Erholungsbereich bestehen zu lassen.
Bis zur Freigabe für den allgemeinen Publikumsverkehr während der Aufforstung gab es Zugangs-Beschränkungen (hierzu mehr in einer anderen Notiz) aber ab 1920 stand der gesamte Walgürtel mit seinen Promenaden der gesamten Bevölkerung zur Verfügung.

scan einer alten Ansichtskarte Heinz Kaschulla
Der Dank der Stadt Essen
Als Dank für dieses großzügige Geschenk ließ die Verwaltung der Stadt Essen von Georg Metzendorf einen Brunnen entwerfen und vom Bildhauer Joseph Enseling gestalten.
Dieses Geschenk wurde auf dem Kleinen Markt der Margarethenhöhe als „Schatzgräber-Brunnen“ aufgestellt.

scan einer alten Ansichtskarte Heinz Kaschulla
Eine weitere Schenkung der Krupp-Familie
Um der Tradition zu folgen, dass die Familie Krupp bei besonderen familiären Anlässen Spenden an die Allgemeinheit gab, spendeten Bertha und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach anlässlich des 125jährigen Bestehens der Firma Krupp im Jahr 1936 weitere 16 ha Baufläche aus dem von Margarethe Krupp gekauftem Vorratsbestand in die Margarethe-Krupp-Stiftung.
Ein weiteres Grundstück kam hinzu
1942 kauft die Margarethe-Krupp-Stiftung an der Sommerburgstraße Ecke Norbertstraße ein Grundstück mit 3 haLand auf, auf dem ein Kotten, in dem eine Trinkhalle betrieben wurde, stand.
(Die Norbertstraße war seit langer zeit eine vielbefahrene Straße zwischen Düsseldorf / Kettwig und Essen / Bredeney. Zeitweilig war sie zwischen Kettwig und Bredeney mautpflichtig, weil sie nicht von der Stadt Essen sondern privat befestigt angelegt wurde. (dazu eine ander Notiz))
Das Grundstück schließt an das von Bertha und Gustav gestiftete Grundstück im Süden an.
Beide Grundflächen bildeten die Baufläche für die später zu bauende Margarethenhöhe II.
Auf der Margarethenhöhe findet ein Bau-Versuch statt
1949 sollte die Landesausstellung für neuzeitliches Bauwesen in Essen unter dem Titel Dach und Fach stattfinden.
Sie war die 1. Ausstellung nach dem Kriege und wurde vom 16.Juli bis 16.Oktober 1949 durchgeführt.
Ausgesucht wurden als Standort dafür die an der neu angelegten Straße Lührmannwald zur Verfügung stehenden Grundstücke.
Hierfür wurden 33 Beispielhäuser gebaut, die zum Teil auch von der Margarethe-Krupp-Stiftung finanziert wurden. Es sollten für die Ausstellung hiermit neue Materialien und Bauweisen ausprobiert werden.
Die Architekten Funke (†1954) und Fierenkotten (†1959), begleiteten in dieser Zeit noch die Bauvorhaben.


Start des Bauvorhabens für den neuen Teil der Margarethenhöhe
Der Plan war gefasst, doch es dauerte, bis aus dem Ackerland Bauland und eine Baustelle werden konnte.
1960 gab es große Wohnungsnot in Essen, es fehlten mehr als 40.000 Wohnungen.
Die Margarethe-Krupp-Stiftung beauftragte Architekt Dr. Seidensticker und Krupp-Wohnungsbau zeitgleich mit der Planung von Häusern und einem Heizkraftwerk dafür, sowie einem Einkaufszentrum.
Die s.g. Margarethenhöhe II sollte auf den südlichen, noch unbebauten Baugrundstücken entstehen.
Die Häuser sollten möglichst schnell und preiswert gebaut werden.

Foto BSM-Archiv
Lange Zeit stand diese Baubaracke an der Sommerburgstraße
Baubeginn war 1962 und die Planung zur Fertigstellung ging bis 1966. Dann erfolgte eine Unterbrechung der Bauphase bis 1971.
1972 wurde weitergebaut und die Margarethenhöhe II wurde 1980 nach den Plänen von Dr. Seidensticker fertiggestellt. Entstanden war eine volkstümlich genannte „Plattenbau-Siedlung“ mit Flachdächern, optisch unansehnlich, aber mit Wohnraum.

Wie ging es weiter?
1983 mussten die Häuser, die im Rahmen der Ausstellung Dach und Fach als Versuchsbauten am Lührmannwald mit den Hausnummern 2 – 20 aufgebaut wurden, wegen Baumängeln niedergelegt und neu gebaut werden. Die Finanzierung erfolgte mit öffentlichen Geldern.
Schon 1987 fiel die Entscheidung, dass der Siedlungsteil der neu gebauten Margarethenhöhe II so unattraktiv und im totalen Gegensatz zur schönen alten Margarethenhöhe nicht bestehen bleiben sollte.
Der Architekt Dr.Ing. Günther Abrahamson wurde beauftragt, die Häuser umzugestalten. Er entwarf Satteldächer in Zimmermanns-Konstruktion mit Verkleidung der Fahrstuhl-Aufbauten. Die Außenwände der Obergeschosse wurden mit Naturschiefer-Platten verkleidet und die Fassaden erhielten farbig gestaltete Anstriche, die die monotonen Wände verwandeln sollten.
Die Neue Margarethenhöhe oder Margarethenhöhe II entstand als sehr schönes modernes Gegenstück zum denkmalgeschützten alten Siedlungsteil.
