Die Gartenstadt
Manfred Raub
Manfred Raub lebt seit 43 Jahren auf der Margarethenhöhe. Er ist Mitbegründer des Kunstkreises Margarethenhöhe und Inhaber des Ateliers am Laubenweg. Seit 15 Jahren ist er als Gästeführer auf der Höhe unterwegs. Aus seiner umfangreichen historischen Foto- und Postkartensammlung erstellt er regelmäßig Kalender und unterstützt auch diesen Blog mit Texten und Bildern.
Bild oben: Eingebettet in den umgebenden Wald und durchzogen von Grün, die Margarethenhöhe. Foto: Wiki 05/Wikimedia Commons, 2009
Die Gartenstadt
Die Gartenstadtidee geht zurück auf den Engländer Ebenezer Howard der 1898 diese Vision für ein neues Leben veröffentlichte. 1902 wurde die „Deutsche Gartenstadtgesellschaft“ gegründet aber erst vier Jahre später konnte diese neue Bewegung auch in Deutschland Fuß fassen. 1909 begann dann die Realisierung von zwei Pilotprojekten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Werkbund (dwb) in dem auch Metzendorf Mitglied war: Hellerau bei Dresden und die Margarethenhöhe bei Essen. Bis heute gilt die Margarethenhöhe als eines der schönsten Beispiele für die Umsetzung der deutschen Gartenstadtidee.
Mehr Luftaufnahmen der Margarethenhöhe gibt es in einem Bildband der Margarethe Krupp-Stiftung
Die Grünplanung von Georg Metzendorf
Als Georg Metzendorf den Auftrag zum Bau der Siedlung bekam, war von Anfang an vorgesehen, dass auch die komplette Grünplanung Bestandteil seines Bebauungsplanes war. Für die Sommerburgstraße hatte er zum Beispiel eine doppelte Baumreihe vorgesehen, wie auf einem Übersichts-Plan von 1912 zu sehen ist und die Straßen Laubenweg und Stiller Winkel waren ebenfalls mit Baumreihen geplant. Und immer sind in den Gartengrundstücken Bäume mit eingezeichnet.
Solitärbäume und Kletterpflanzen
Weiter gestaltete er die Straßen und Häuser mit Solitärbäumen als Blickfang, ließ Kletterpflanzen an den Häusern ranken und kümmerte sich auch um Details wie kleine Grünflächen und Pflanztröge an öffentlichen Stellen sowie Blumenkästen an den Häusern. Aber eine Gartenstadt hat ihren Namen ja von den Gärten erhalten. Auf der Margarethenhöhe gehört – bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen – zu jedem Haus, zu jeder Etagenwohnung ein Garten bzw. Gartenanteil. Das war eine revolutionäre Entwicklung im Wohnungsbau, vor allem vor dem Hintergrund, dass in den aufstrebenden Industrieregionen des Ruhrgebietes Grund und Boden knapp und teuer waren und eine „effektive“ Bebauung angestrebt wurde.
In seiner „Denkschrift über Ausbau des Stiftungsgeländes“ von 1909 schreibt Georg Metzendorf zu den Gärten: „… Hinter jedem Hause dehnt sich in einem durch die Größe des Baues und seine Bestimmung bedingten Umfang der Garten. Mit vollem Bedacht ist im Prinzip für diese Straße (Anmerkung: hier ist die Steile Straße gemeint) besonders, aber im allgemeinen auch für die anderen (Straßen) nicht an die Anlage von Vorgärten gedacht, weil diese doch nur einen sehr bedingten Wert haben, zumal für die Wohnung der Minderbemittelten. Der Garten als Erholungsraum und Arbeitsstätte nach Ablauf des Tagewerkes seines Besitzers gehört nicht als ein – meist übel gestaltetes – Schaustück für die Passanten der Straße, sondern in der guten Jahreszeit zur erweiterten Wohnung. Er erfüllt seinen wahren inneren Zweck nur, wenn er der Geselligkeit der Familie dient, und kein ungebetender Fremder hat darum ein Anrecht auf Einblick! …“
„…künstlerisch eigenartiger Stadtteil…“
Metzendorf erläutert weiter, dass es sich um keine „richtige Gartenstadt, nach englischem Muster etwa“ handelt, da sie wirtschaftlich nicht selbständig sei, sondern es sich um einen „künstlerisch eigenartigen Stadtteil von Essen“ handelt. Der Architekt macht also die Aussage, dass die Gärten als Erholungsort für die Familien gedacht waren. Es waren also keine Nutzgärten, wie zum Beispiel bei den Arbeiter- und Zechensiedlungen im Ruhrgebiet, die mit zur Ernährung der Familie beitragen sollten. Ställe für Tauben, Hühner, Ziegen oder andere Nutztiere waren, so wie in den vorgenannten Siedlungen häufig anzutreffen, nicht vorgesehen. In den Überlegungen von Metzendorf ist aber die Pflanzung von Obstbäumen und Beerensträuchern geplant. Hierzu gibt es einen Brief von ihm an Frau Margarethe Krupp bezüglich der Beschaffung von Pflanzen für den Garten des „Kleinen Atelierhauses“ an der Ecke Sommerburgstraße/Ecke Stiller Winkel von Hermann Kätelhön: „… Dringend benötigte aber die Anlage des Gartens noch: 4 Apfelhochstämme … 2 Kirschen … 4 Birnhochstämme … 12 Stachel & Johannisbeeren …“
Unterschiedliche Gartenpforten
1913 schrieb Professor Dr. A. E. Brinckmann: „Besondere Sorgfalt ist auf geradgeschnittene Gärten gelegt – eine wunde Stelle bei vielen Gartenstädten – die in verschiedener Größe von 70 bis 250 qm zu der einzelnen Wohnung gehören. Die Zäune sind schlicht und doch nicht schematisch gleichförmig, die Gartenpforten sind besonders aufmerksam behandelt. … Vorgärten kommen kaum vor, sie haben für die einzelne Wohnung geringen Wert. … Wechselnde Durchblicke in die Gärten bringen mehr Leben in das Bild, wie solch durchlaufender Streifen. Trotzdem jede Wohnung einen Garten hat, und auch die ruhigen Wohnstraßen als Spielplätze für die Kinder dienen können, ist ein besonderer Kinderspielplatz vorgesehen…“ Und Ernst Gosebruch schrieb 1920 über die Margarethenhöhe: „…Wenn die Gartenvorstadt Margarethen-Höhe, wie man wohl sagen kann, den Eindruck einer Stadt macht, so liegt das einmal daran, daß ihre Gärten hinter den Häusern liegen, durch Zäune und Mauern gegen die Straße abgeschieden, …“ Jedoch abweichend zur ursprünglichen Planung hat Metzendorf in späteren Bauprioden zur Auflockerung des Straßenbildes Vorgärten anlegen lassen.
Gärten blieben beim Wiederaufbau erhalten
Zur weiteren Grünplanung der Siedlung schrieb Rainer Metzendorf 1997 dass „Standorte und Baumarten innerhalb des Wohngebietes einem in sich schlüssigen Konzept“ folgen und „straßenbegleitende Pflanzungen die Hierarchie des Verkehrsnetzes wichten.“ Die Standorte von Ziersträuchern und Obstbäumen wurden von seinem Großvater vorgegeben.
Foto aus „Kleinwohnungsbauten und Siedlungen“ 1920; Repros Manfred Raub
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg
Heute ist von der ursprünglichen Grünplanung Metzendorfs leider fast nichts mehr originalgetreu anzutreffen. Vor allem durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war die Wiederherstellung bzw. Schaffung neuen Wohnraums vordringlichere Aufgabe. Die Gärten blieben trotzdem erhalten und waren, wie von Metzendorf geplant, das „erweiterte Wohnzimmer“ der Bewohner der Höhe und sind es bis heute geblieben. Ein von der Margarethe Krupp-Stiftung 2018 in Auftrag gebenes Gutachten zu einem „gartendenkmalpflegerischen Entwicklungskonzept“ führt aus, dass die komplette Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes nicht sinnvoll wäre. Vielmehr sollte eine qualitative Veränderung angestrebt werden.
Nach wie vor sind aber vor dem Hintergrund des Klimawandels die Gärten von unschätzbarem Vorteil: die Grünflächen, Sträucher und Bäume filtern Staub und Schadstoffe aus der Luft und sorgen für Abkühlung an heißen Tagen. Als Kaltluftschneisen zur weiteren Abkühlung sorgen auch die Waldtäler rings um die Siedlung, die von Metzendorf mit in die Planungen zur Gartenstadt einbezogen und von Frau Krupp als „Promenadenschenkung“ der Stadt Essen übereignet wurden. Um aber auf die Gärten zurückzukommen: was geht über den gemütlichen Plausch nach Feierabend oder am Wochenende mit den Nachbarn über den Gartenzaun? Oder man sitzt in den lauen Sommernächten zum Feiern oder einfach nur so gemütlich draußen zusammen und genießt das, was viele Städter entbehren müssen: den eigenen Garten. Und das alles auch noch, im wahrsten Sinne des Wortes, vor der eigenen Haustür!
Foto aus „Kleinwohnungsbauten und Siedlungen“ 1920; Repro Manfred Raub
Foto: Sammlung Manfred Raub