Bürgerschaft in der Krise

Bürgerschaft in der Krise

25. Mai 2024 9 Von Sonja Mersch

Die Luft war zum Schneiden am Donnerstagabend am Helgolandring: Im stickigen Katharina-von-Bora-Saal drängten sich rund 75 Mitglieder der Bürgerschaft Margarethenhöhe, vor der Tür bildete sich zeitweise eine lange Schlange. Bei dieser ersten Versammlung seit dem Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden und der ersten Kassiererin ging es um Zahlen und Zahlungen. Und um die Frage, was seit dem Sommer 2022 eigentlich los war?

„In der Bürgerschaft haben sich viele Dinge äußerst negativ entwickelt. Zum Jahreswechsel 2023/24 würde ich die Situation sogar als desaströs bezeichnen“, begann Martin Weber, bislang Stellvertreter und seit Februar kommissarischer Vorsitzender, seinen Bericht über die vergangenen zwei Geschäftsjahre. Durch fehlende aktuelle Mitgliederlisten und Probleme mit der Kassenübergabe sei der neue Vorstand zunächst kaum handlungsfähig gewesen. Es habe zwar schöne Veranstaltungen wie Bürgerfest, Seniorennachmittag, St. Martin oder den neuen Feierabendmarkt gegeben, eine ordentliche Mitgliederversammlung allerdings nicht, obwohl die Satzung dies vorsehe. Zwischenmenschliche Konflikte hätten sich zugespitzt, der Ton innerhalb des Vorstands sei rauer geworden, „einer Bürgerschaft Margarethenhöhe oft unwürdig“, so Martin Weber.

„Finanzielle Unregelmäßigkeiten

Ende 2023 seien finanzielle Unregelmäßigkeiten aufgefallen, nach Zugriff auf die Bücher habe man die Konten „fast leergefegt“ vorgefunden. Im Februar dieses Jahres traten der erste Vorsitzende Christian Henkes sowie die Kassiererin zurück. Der verbliebene Vorstand um Martin Weber habe seitdem versucht, Buchungen nachzuvollziehen und zuzuordnen. Aufgefallen seien ungewöhnlich hohe Tank- und Bewirtungskosten und fehlende Belege, auch sei unklar, was mit Einnahmen aus einer Spendensammlung für die Ukraine geschehen sei. Obwohl laut Satzung nicht erlaubt, sei an einige Mitglieder eine Ehrenamtspauschale ausgezahlt worden. Insgesamt, so Martin Weber, sei der Verbleib einer Summe von rund 10.000 Euro ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft sei informiert worden. Um möglicherweise Gelder zurückfordern zu können, müsse der jetzt neu zu wählende Vorstand jedoch selbst Klage einreichen.

Als der Kassenprüfer der Bürgerschaft an der Reihe war, stapelte er sechs dicke Aktenordner mit lautem Knallen auf einem Stuhl und warnte vor, sein nun folgender Bericht sei „erschreckend“. Seit Juli 2022 habe er viele fehlerhafte Belege und Ausgaben ohne richtige Rechnung vorgefunden. „Eine solche Kassenführung entspricht nicht der Vereinssatzung und ist der Kassenverwaltung eines Vereins nicht würdig“, sagte er und empfahl, den Vorstand nicht zu entlasten. (Anmerkung: Nur so können weiterhin mögliche Schadensersatzforderungen geltend gemacht werden.)

Austritt aus dem Verein

Christian Henkes meldete sich mehrfach selbst zu Wort. Er verneinte, dass dem Verein 10.000 Euro „verloren gegangen“ sein. Er sei im übrigen zu keinem Zeitpunkt gebeten worden, strittige Fragen aufzuklären. Die angeblich verschwundenen Ukrainespenden seien nicht wie geplant an den Verein „Ärzte ohne Grenzen“ geflossen, da sich eine wohltätige Spende außerhalb der Margarethenhöhe nicht mit der Vereinssatzung vertragen hätte. Das Geld sei stattdessen für die Renovierung von Sitzbänken für den Stadtteil verwendet worden. Die übrigen Anschuldigungen, von denen er überhaupt erst kürzlich erfahren habe, kämen ihm unwahrscheinlich vor und müssten erst bewiesen werden. Einzig die Ehrenamtspauschale sei ein Fehler gewesen – über eine mögliche Rückzahlung werde man zu anderer Zeit reden. Angriffe auf die – bei der Versammlung nicht anwesende – erste Kassiererin halte er für persönlich motiviert. Sie sei eine der wenigen zuverlässigen Helferinnen bei nahezu jeder Veranstaltung gewesen. Mitglieder forderten dennoch einen Ausschluss aus dem Verein. Dem kam Christian Henkes zuvor: Er hatte seine Kündigung bereits mitgebracht.

Auch gegen die verbliebenen Vorstandsmitglieder hagelte es aus dem Plenum Kritik: „Wie kann es sein, dass ihr erst so spät reagiert habt?“ Darüber herrschte bei vielen Mitgliedern vollkommenes Unverständnis. „Wir hätten früher hingucken müssen, den Schuh ziehe ich mir an und kann nur sagen, dass mir das Leid tut“, sagte Martin Weber. Bei seiner Wahl vor zwei Jahren habe er eigentlich im Sinn gehabt, der Margarethenhöhe etwas zurückgeben zu wollen.

Niemand kandidiert für Vorstandswahlen

Für einen Moment konnte man erahnen, welcher Geist die Bürgerschaft einmal zusammengehalten haben muss: Rixa Gräfin von Schmettow erhob sich und fragte: „Warum gibt es das Ehrenamt, warum gibt es die Bürgerschaft? Weil sie wichtig ist für einen kleinen Stadtteil wie die Margarethenhöhe. Jetzt müssen wir neu anfangen und uns auf den Kern besinnen: das Miteinander auf der Margarethenhöhe.“ Dafür gab es Beifall von allen Seiten.

Für einen Neuanfang war einer der letzten Tagesordnungspunkte vorgesehen: Neuwahlen des Vorstands. Doch dazu kam es nicht, denn niemand meldete sich, um für eines der sechs Ämter zu kandidieren. Vielleicht aus Gründen. Doch eines ist klar: Sollte im September – dann ist eine außerordentliche Sitzung geplant – keine Kandidat:innen zur Wahl stehen, könnte es das Aus für den Verein bedeuten.

Foto: Tanja Wuschof

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