Leben unter der Uhr
Könnte man durch das Zifferblatt der großen Uhr am Edekagebäude schauen, würde man den Dachboden von Florian Wirsdörfer und Eva Pastille sehen. Der befindet sich auf der anderen Seite der Mauer mit den zwölf Minifensterchen, je sechs auf jeder Seite des vergoldeten Ziffernblatts. An sonnigen Tagen glänzen die Zeiger der Uhr – zum Glück: Vor viereinhalb Jahren war einer der Zeiger abgestürzt, danach wurde die Uhr komplett restauriert und mit frischem Blattgold bestückt wieder aufgehängt. Darüber hatten wir berichtet – und bei dieser Gelegenheit auch erfahren, dass es hinter und vor allem unter der Uhr eine Wohnung gibt. Leben auf der anderen Seite der Zeit sozusagen – das wollten wir uns jetzt endlich einmal genauer ansehen.
Auf der anderen Seite der Zeit
Auf den besagten Dachboden gelangt man über eine schmale Klappleiter in der Küche von Florian Wirsdörfer und Eva Pastille. Unter der Uhr wohnen die beiden schon seit neun Jahren – und genießen den tollen Ausblick aus dem Wohnzimmerfenster. Dafür nehmen sie auch eine kleine Einschränkung gern in Kauf: „Uns wurde schon bei Einzug mitgeteilt, dass wir den Weg zur Uhr zur Verfügung stellen müssen, wenn mal etwas sein sollte“, erzählt Eva Pastille, und ihr Mann ergänzt: „Deswegen durften wir unsere Küche nicht ganz so einrichten, wie wir wollten – die Leiter muss jederzeit ausgeklappt werden können, falls jemand hoch zur Uhr muss.“
„Eine der schönsten Uhren in Essen“
Jemand wie Günter Budzyn zum Beispiel. Er arbeitet für die Essener Firma Zeitdienst Sorge, die sich um die Restaurierung der Uhr gekümmert hat und auch für die regelmäßige Wartung zuständig ist. „Das ist eine der schönsten Uhren in Essen“, findet er und erzählt, dass er sogar oft durch die Margarethenhöhe fahre, nur um einen Blick darauf zu werfen. Vom Absturz des Zeigers hatte er Weihnachten 2018 aus der Presse gehört. „Da bin ich sofort mit meinem Fernglas hier hergefahren, um zu schauen. Später haben wir die Uhr dann im Auftrag der Margarethe Krupp-Stiftung mit dem Hubwagen heruntergeholt, um sie zu reparieren.“ Ganz schön verbeult sei der über einen Meter lange Zeiger gewesen, der wegen des starken Windes auf den Gehweg gekracht war. „Den mussten wir aus Kupferblech neu nachbauen. Aber da es sich ansonsten noch um die Originaluhr handelte, durften wir sie nach Rücksprache mit dem Denkmalschutz originalgetreu wieder herrichten. Blattgold hält viel länger als nur ein goldener Anstrich – und hat eine enorme Strahlkraft, wenn die Sonne darauf scheint.“
Klapptreppe in der Küche
Heute nimmt uns Günter Budzyn mit hinter die Uhr, um uns das dahinter liegende Steuerelement zu zeigen. Fröhlich stapfen wir also durch die Küche und schauen fasziniert zu, wie Florian Wirsdörfer mit einem Haken die Dachbodenluke öffnet und eine metallene Klapptreppe herunterlässt. Nacheinander steigen wir vorsichtig hinauf und treten oben auf den riesigen, fast leeren Dachboden. In einer Ecke liegt die alte Uhrenachse, daneben steht ein Holzkasten, der zum ursprünglichen Uhrwerk von 1912 gehörte. Damals gab es auch noch Pendel, Reste der alten Seilzüge an den Dachbalken sind noch zu sehen. „Heute funktioniert alles per Funksteuerung“, erklärt uns Günter Budzyn.
Immer ein Blick hoch zur Uhr
Von der Uhr selbst ist natürlich nichts zu sehen – nur eine Stelle im etwa 40 Zentimeter dicken Mauerwerk, durch das die Zeigerachse geht. Und ein kleiner, runder Kasten davor. Den schraubt Günter Budzyn jetzt auf. Jede Minute rückt ein kleines Rädchen einen Zahn weiter. Klick. Da muss niemand mehr irgendetwas machen – zumindest nicht, wenn es um die korrekte Uhrzeit geht. In Sachen Sicherheit lohnt ein genauer Blick dann doch von Zeit zu Zeit: „Ich habe damals nach dem Absturz bei der Stadt angeregt, dass solche Uhren regelmäßig gewartet werden sollten“, sagt Günter Budzyn. Auch, weil im gleichen Zeitraum auch in anderen Städten wie Münster oder Hamburg die Zeiger von den Uhren gefallen waren. Etwa zehn Kilogramm wog der Zeiger, der hier auf der Margarethenhöhe verbogen vor dem Edeka landete – zum Glück an einem Feiertag ohne viel Publikumsverkehr. „Da hatte sich vermutlich ein Flansch gelöst, an der Stelle, wo der Zeiger gehalten wird – und der Wind hat dann den Absturz verursacht“, vermutet Günter Budzyn. Ein erster Hinweis auf ein solches Ereignis könne sein, wenn ein Zeiger an einem bestimmten Punkt des Zifferblattes immer wieder „durchrutsche“. „Auch darum ist mein Blick immer auf der Uhr, wenn ich hier durch die Straße fahre“, sagt Günter Budzyn.
Toller Blick auf den Kleinen Markt
Die Straße erscheint von hier oben sehr weit weg: Wir können durch die Schießschartenfenster auf den Kleinen Markt schauen, ein ganz seltener Anblick. Von hier oben aus – oder auch eine Etage tiefer, aus seinem etwas größeren Wohnzimmerfenster – hat Florian Wirsdörfer schon das eine oder andere schöne Foto gemacht, sei es vom Weihnachtsmarkt oder von anderen Veranstaltungen direkt vor seiner Haustür. Manchmal hat er uns solche Bilder für diesen Blog zur Verfügung gestellt. Umso mehr freuen wir uns jetzt, das Vergnügen selbst einmal zu haben. Die beiden Bewohner wissen ihre besondere Wohnlage hoch über den Dächern zu schätzen. „Ich habe immer schon auf der Margarethenhöhe gelebt und meine Familie auch“, erzählt Florian. „Meine Ururgroßeltern wohnten an der Waldlehne.“ Zahlreiche alte Fotos, die er zusammen mit alten Mietbüchern in einer Schachtel aufbewahrt, zeugen von der langen Familientradition auf der Margarethenhöhe. Unter der ebenso geschichtsträchtigen Uhr zu wohnen, bekommt da nochmal eine ganz andere Bedeutung.
Filmteam hat uns begleitet
Falls ihr euch übrigens fragt, warum auf unseren Fotos so viele Leute zu sehen sind, die Kameras und Mikrofone tragen: Ein Filmteam des WDR hat uns bei unserem Uhren-Termin für diesen Blog begleitet – weil sie unsere Arbeit spannend fanden und weil sie natürlich auch die Uhr spannend fanden. Aus diesem und noch sehr viel anderem Material, welches zurzeit hier auf der Margarethenhöhe mit ganz unterschiedlichen Protagonisten entsteht, soll ein 45-minütiger Beitrag für die Sendung „Heimatflimmern“ werden. Dazu berichten wir euch bald mehr. Hier ein paar Eindrücke:
Fotos: Tanja Wuschof
Klasse! Bin gespannt, welche Schätze in dem WDR Film auftauchen werden!
Ich muss immer wieder staunen, welche Schätze die Margarethenhöhe birgt, an denen wir beinahe täglich vorbei gehen. Frau Blunk habe ich in guter Erinnerung, unsere Tochter hat viele Jahre an ihrem Tanzunterricht teilgenommen. Besten Dank für den interessanten Beitrag, mein Blick wird jetzt öfter nach oben gerichtet.
Ein Super-Artikel ist das geworden, vielen Dank dafür.
Einfach ein toller Artikel, Danke Sonja. Wir haben von 1980 bis 1983 in der Etage direkt über dem jetzigen Edeka gewohnt, unter dem Dach wohnte Frau Blunk, Inhaberin der Tanzschule, zu der die Tür links in der Fassade führte. Zu dieser Zeit konnte man im Hausflur noch das Ticken des alten Uhrwerks hören.