Apothekerinnen: „Engpässe, aber kein Notstand“
Schnell mal einen Fiebersaft fürs kranke Kind besorgen – das kann schon seit einigen Monaten zum Problem werden. Auch wenn Antibiotika oder andere Arzneimittel auf dem Rezept stehen, könnte man Pech haben: Viele Medikamente sind in Apotheken nicht vorrätig und können auch nicht kurzfristig bestellt werden. Der Grund sind Lieferengpässe seitens der Hersteller – und das in einer Zeit, in der neben Corona zahlreiche Atemwegsinfekte wieder auf dem Vormarsch sind (mehr Infos dazu). Wie geht man damit um? Hamstern? Panik schieben? Wir haben mit Ute Brand von der Margarethen Apotheke und Ulrike Lohmann von der Sommerburg Apotheke darüber gesprochen, wie dramatisch die Situation wirklich ist und welche Lösungen sie für ihre Kunden von der Margarethenhöhe notfalls in petto haben.
Billigproduktion in Asien
Zu den Hintergründen erklärt Ute Brand: „Die meisten Hersteller von Paracetamol- oder Ibuprofenzäpfchen produzieren billig in Asien. In Europa wäre das null wirtschaftlich – Karton, Packungsbeilage und Zulassung würden schon mehr kosten, als ein Hersteller pro Packung verdienen würde.“ Die gängigen Fieber- und Schmerzmittel sind schon ab unter zwei Euro zu bekommen. Ulrike Lohmann sieht ein Problem auch darin, dass diese Preise von den Krankenkassen diktiert würden: „Dadurch verlagert sich letztlich die Produktion ins Ausland.“ Nicht nur Fiebersäfte und -zäpfchen seien seit Monaten knapp, sondern auch andere Medikamente wie etwa der Magensäureblocker Pantoprazol, Blutdruckmittel oder bestimmte Antibiotika. „Ich bin seit fast 40 Jahren Apothekerin, und es macht mir schon Sorgen – mit solchen Engpässen hätte ich nie gerechnet.“
Mehr Aufwand für Patienten und Apotheke
Ulrike Lohmann will trotzdem keine Panik machen – es herrische kein akuter Notstand: „Manchmal muss man auf ein anderes Präparat umstellen, bei Fiebermitteln können wir eine andere Form nehmen.“ Auch Ute Brand betont: „Wir versuchen immer irgendetwas da zu haben. Die Kunden müssen sich nur darauf einstellen, dass sie vielleicht nicht ihren gewohnten Hersteller bekommen oder mal eine andere Packungsgröße nehmen müssen“, sagt sie. Das kann im Einzelfall auch mal teurer werden, weil in einem Päckchen mit 60 Tabletten natürlich die einzelne Tablette mehr kostet als in der Hunderterpackung. „Es ist dann nicht immer die komfortabelste Lösung“, sagt Ute Brand.
Wenn Arzneimittel plötzlich anders aussehen oder anders dosiert werden müssen, sei auch die Beratung für sie und ihr Team viel aufwändiger: Man müsse mit Ärzten telefonieren, Rezepte ändern lassen, dem Kunden alles erklären. Ulrike Lohmann bestätigt das: „Wir haben einen erheblichen Mehraufwand mit vielen zusätzlichen Arbeitsstunden.“ Zum Glück seien die Kunden sehr geduldig und verständnisvoll.
„Jagd“ auf lieferbare Medikamente
Zusätzlich sitzen die Apothekerinnen selbst viele Stunden am Tag vor ihren Rechnern und klicken sich durch die Arzneimittellisten des Großhandels, um verfügbare Medikamente sofort bestellen zu können. Nicht immer kommt alles, was Ute Brand geordert hat, auch mit einer der vier Lieferungen am Tag in der Margarethen Apotheke an: Zurzeit werde oft nur ein bestimmtes Kontingent zugeteilt – wenn dann etwas fehlt, muss Ute Brand erfinderisch werden. „Es kommt durchaus vor, dass mal keine Fieberzäpfchen da sind und ich die Eltern zu einer anderen Apotheke schicken muss“, erzählt sie. „Ich hatte auch schon Notdienst mit nur noch zwei Flaschen Fiebersaft im Lager und habe gehofft, das keiner kommt. Das gleiche höre ich auch von Kollegen.“
Ulrike Lohmann beschreibt ihre Situation als etwas vorteilhafter, da sie insgesamt vier Apotheken in Essen besitze und daher insgesamt mehr bestellen und zwischen den Filialen hin- und herschieben könne. „Mein Mann fährt morgens sowieso immer von einer Apotheke zur anderen und kann dann mitbringen, was woanders benötigt wird.“ Trotzdem komme es vor, dass bestellte Arzneimittel nicht in der Lieferung sind, weil jemand anders eben doch schneller war. Die Notdienste empfindet auch Ulrike Lohmann als Herausforderung: „Man ist immer froh, wenn man in dieser Zeit gut mit Medikamenten bestückt ist, um den Menschen helfen zu können.“
Keine Panik: „Wir finden immer eine Lösung.“
Angst machen wollen beide Apothekerinnen aber niemandem. Ute Brand sagt: „Es hat bisher noch keinen Fall gegeben, wo uns nichts eingefallen wäre.“ Älteren Kindern könne man zum Beispiel Ibuprofentabletten geben, die sich auf der Zunge auflösen. „Wir können auch Fiebersaft selbst herstellen. Der ist dann allerdings nur begrenzt haltbar und kostet nicht nur 3,50 Euro.“ Im Notfall aber durchaus eine Möglichkeit. Ulrike Lohmann hat das sogar schon ein paar Mal gemacht, zwei fertige Flaschen stehen noch im Apothekenkühlschrank. Auch Zäpfchen lassen sich theoretisch selbst herstellen, sofern das dazu notwendige Hartfett lieferbar ist – Ute Brand hat vorsichtshalber mal Formen dafür bestellt. „Eigentlich wird das heute gar nicht mehr gemacht“, sagt sie. Aber als Apothekerin hat sie schließlich ihr Handwerk gelernt und weiß notfalls, wie es geht.
„Medikamente in Europa produzieren“
Davon, zu Hause noch vorhandene Arzneimittel mit Freunden oder Nachbarn zu tauschen oder nach dem Verfallsdatum zu verwenden, rät Ute Brand übrigens dringend ab: Zu groß sei die Gefahr, auf Reisen zu warm gelagerte oder für den Zweck ungeeignete Medikamente zu verwenden. Andere Lösungen für das Problem müssten aus ihrer Sicht her. „Ich würde mir wünschen, dass die Politik Voraussetzungen schafft, dass die Hersteller in Europa produzieren können und wir nicht länger auf Billigprodukte aus Asien angewiesen sind.“ Ulrike Lohmann drückt es ähnlich aus: „Man müsste die Produktion zu uns verlagern und den Herstellern angemessene Preise zahlen. Vielleicht wäre es auch eine Idee, im Gegenzug den Verwaltungsaufwand bei den Krankenkassen zu reduzieren und so Geld einzusparen.“
Fotos: Tanja Wuschof & Sonja Mersch