Ein Spaziergang mit Metzendorfs Enkel

Ein Spaziergang mit Metzendorfs Enkel

21. Oktober 2022 3 Von Sonja Mersch

„Als ich zum ersten Mal auf die Margarethenhöhe kam, dachte ich nur: wow“, sagt Rainer Metzendorf. Als Enkel Georg Metzendorfs (1874-1934), der die Gartenstadt geplant und gebaut hat, lebt er eigentlich in Mainz. Das Werk seines Großvaters, den er persönlich nicht mehr kennenlernte, begegnete ihm erst während seines eigenen Architekturstudiums in München. „Ich wusste bis dahin nur, dass er Architekt war und auch mal eine Siedlung gebaut hat“, erzählt der 80-Jährige. Als es in den höheren Semestern um Städtebau ging, kam plötzlich die Margarethenhöhe in den Fokus. „Da habe ich alles stehen und liegen gelassen und bin nach Essen gefahren.“

„Eine ganz andere Welt“

Die Gartenstadt habe ihn sofort in ihren Bann gezogen, erinnert er sich: „Ich bin zu Fuß über die Brücke auf das Tor zugegangen und sah, wie raffiniert dieser Eingang inszeniert ist.“ Die bewusste Fernwirkung des Torhauses, wie man schon von Weitem begrüßt werde und sofort erkenne, dass es sich um eine in sich geschlossene Siedlung handele. An der Hochschule sei damals eine ganz andere Art des Städtebaus gelehrt worden. „Die Margarethenhöhe war eine andere Welt für mich, das Gegenstück zu den herzlosen Mietskasernen aus Beton“, so Rainer Metzendorf. Besonders fasziniert habe ihn die Echtheit der Materialien, der Bau mit Naturstein. „Entsetzt war ich nur über den ruhrgebietstypisch verdreckten Putz an den Häusern, und die Autos haben mich damals schon gestört.“ Das war 1965.

„Andere studieren in dem Alter noch“

Rainer Metzendorf, 1941 in Hamburg geboren und in Berchtesgaden „in einem Bauernhaus mit Alpenpanorama“ aufgewachsen, begann, alles über seinen berühmten Großvater zu sammeln. „Er war knapp über 30 Jahre alt, als er den Auftrag zur Planung der Margarethenhöhe bekam“, erzählt er. „Margarethe Krupp wollte alles aus einer Hand geplant haben, und es sollte unbedingt ein junger Mann sein, der das Projekt als seine Lebensaufgabe sieht.“ Damals habe sein Großvater gerade in Darmstadt ein Haus vorgestellt, das über Zentralheizung und Wasserklosett verfügte: „Eine Revolution zu der Zeit und wohl mit ein Grund, warum er den Auftrag bekommen hat“, erzählt Metzendorf, der seinen Großvater sehr dafür bewundert, „dass er sich das zugetraut hat. Andere studieren ja in dem Alter noch.“

„Ich habe seine Grundrisse nachgezeichnet“

Er selbst habe ursprünglich Frauenarzt werden wollen. „Aber nach dem Abitur habe ich mich dann aus irgendeinem Grund an der Hochschule München zur Aufnahmeprüfung Architektur angemeldet. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum.“ Sein Vater war Betriebswirt, die Metzendorfs seien aber schon seit dem 30-jährigen Krieg als Steinmetze und Baumeister tätig gewesen – insofern lag es ihm vielleicht im Blut. „Ich habe viele Grundrisse meines Großvaters nachgezeichnet, um zu verstehen, was er gemeint hat“, erzählt Rainer Metzendorf. „Die Margarethenhöhe war wirklich sein Herzstück.“ Mit 52 Jahren schrieb er eine Dissertation über seinen Großvater.

„Einer der schönsten Plätze in Europa“

„Es gab so vieles, was mir hier gefallen hat“, so Rainer Metzendorf. Die Margarethenbrücke mit ihrer bewusst eingeplanten Senke in der Mitte: „Man muss unterschiedliche Höhenlinien überwinden, die Architektur sollte einfach perfekt in die Landschaft passen.“ Der Kleine Markt setze das Spiel mit verschiedenen Ebenen fort: „Zwei Rampen führen außen herum zum Hohen Weg und trennen den Verkehr von den Fußgängern. Die Mitte des Platzes wurde freigehalten für Aktivitäten, der Brunnen steht bewusst nicht mittig.“ Mit der Gaststätte am unteren Kopfende, den Hallen rundherum und dem besonderen Lichteinfall in den Arkadengängen strahle der Platz eine derartige Urbanität aus, dass er für ihn einer der schönsten Plätze in ganz Europa sei. „Schade nur, dass so viele Autos darauf parken.“

Kleine Anekdote zum Schatzgräberbrunnen auf dem Kleinen Markt, den Georg Metzendorf entworfen und Bildhauer Joseph Enseling umgesetzt hat: „Für den Knaben hat mein Vater als Neunjähriger Modell gestanden“, sagt Rainer Metzendorf.

Im Stillen Winkel und Schöngelegen

Zu den schönsten Straßen der Siedlung gehören für Rainer Metzendorf unter anderem Schöngelegen, „da gefällt mir der städtebauliche Ansatz sehr mit dem Giebel, auf den man zuläuft, und den angehobenen Vorgärten“, aber auch „Im Stillen Winkel“ mit seinen erst 1927/28 gebauten Häusern, „die aber den Stil der Margarethenhöhe nicht verleugnen können.“ In der Steilen Straße gehört eine Reihe von Häusern zu seinen Favoriten, in der sich in der Mitte zwei Einfamilienhäuser und außen Etagenwohnungen befinden – alles miteinander verbunden zu einer harmonischen Häuserzeile.

Baukasten und Spielwiese

„Es ging Georg Metzendorf immer auch um die Blickrichtungen und das Raumgefühl, ein bisschen nach dem Vorbild einer mittelalterlichen Stadt“, so Metzendorf. „Mein Großvater hat mit unheimlich viel Fantasie geplant.“ Die nach dem „Baukastenprinzip“ gestaltete Siedlung sei für seinen Großvater die reinste Spielwiese gewesen. Allerdings sei es Georg Metzendorf durchaus wichtig gewesen, dass alles genauso gemacht wurde, wie er es sich vorgestellt habe: „Am Kleinen Markt gibt es diese Mauern an den Ecken, eine davon hat er fünfmal wieder einreißen lassen, bis sie richtig war.“

Türklinken im eigenen Haus verbaut

Mittlerweile verwaltet Rainer Metzendorf den Nachlass seines Großvaters. Für die Ausstellung „Aufbruch im Westen“ 2019 im Ruhr Museum konnte er vieles zur Verfügung stellen, unter anderem Originalzeichnungen, Werke der Künstler aus der ehemaligen Künstlerkolonie oder auch den einen oder anderen historischen Türgriff. „Teilweise habe ich die in meinem eigenen Haus eingebaut und extra für die Ausstellung nochmal abgeschraubt“, erzählt er. Die alten Pläne habe er nach der Ausstellung nicht wieder mit nach Hause genommen, sondern dem Krupp-Archiv geschenkt. „Das sind Schätze, die gehören in ein Museum“, ist er überzeugt. Dass heute oft alte Grundrisse der denkmalgeschützten Häuser aufgelöst oder kleine Wohnungen zusammengelegt werden, findet er übrigens in Ordnung: „Ja, ich finde, das darf man ruhig machen. Man muss die Wohnungen an die jeweilige Zeit anpassen.“

„Wie eine zweite Heimat“

„Inzwischen bin ich oft hier und besuche dann auch das Grab meines Großvaters auf dem Südwestfriedhof“, erzählt Metzendorf. „Die Margarethenhöhe ist wie eine zweite Heimat für mich geworden.“ Als bekennender Verehrer des Bauhaus-Stils der 20er Jahre hat er eine persönliche Lieblingsecke: „Wenn ich auf die Margarethenhöhe ziehen würde, würde ich am liebsten im Stillen Winkel wohnen.“

Zwillingshäuser Im Stillen Winkel

Die historischen Fotos hat uns Rainer Metzendorf zur Verfügung gestellt.
Alle anderen Fotos: Tanja Wuschof